Baugeschichte der Klausur

Bei der denkmalpflegerischen Sanierung in den Jahren 2006 bis 2008 wurden Kreuzgang und Klausur im Zustand des 18. Jahrhunderts wiederhergestellt, dass heißt: weiße, geputzte Wände mit nur schwach abgesetzten Strukturelementen. (Zur Geschichte der farblichen Raumgestaltung siehe unten). Entsprechend wurden die gründerzeitlichen Fenster durch Fenster ersetzt, die der Barockzeit entsprechen. Ausnahmen der Rekonstruktion sind: 1) Das in der Barockzeit zugemauerte Portal zur Stiftskirche wurde wieder sichtbar gemacht und durch ein barockisiertes Gitter abgetrennt. Seit dem 18. Jahrhundert war das vermittelnde Joch zwischen Kreuzgang und Stiftskirche komplett durch eine Mauer abgetrennt. 2) Die bei der Sanierung freigelegten spätgotischen Wandmalereien und farblichen Raumfassungen wurden zum Teil sichtbar gelassen.

Bauphase I (1290 bis 1310/1330)

Archäologisch wie bauhistorisch nachgewiesen ist die Errichtung der Kirche zusammen mit dem nördlichen, östlichen und dem östlichen Teil des südlichen Kreuzgangs. Zwischen Kirche und Kreuzgang-Ostflügel gibt es keine erkennbare Baufuge. Ziegelformate und Maueraufbau sind gleich. Das ehemalige Portal zwischen Kreuzgang und Kirche (Mönchsportal) weist in seinem Gewände typische Formen des späten 13. Jahrhunderts auf (Badstübner 1990, 7). Die Baugeschichte des Nordflügels ist unklar, da es wohl Veränderungen noch während des Aufbaus gegeben hat (Schumann 2013, 345 ff.). Dendrochronologische Untersuchungen (Auswertung der Jahresringe eines Holzes) weisen den Baubeginn des Nordflügels in die Zeit um 1310/1320. Nach Schumann wurde noch bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts daran gebaut. Aus dem Westflügel gibt es bislang keine Anhaltspunkte auf seine Erbauungszeit.

Es ist anzunehmen, das der Westflügel und der Kreuzgang selbst in der ersten Bauphase noch aus Holz bestanden, was für Klosterbauten des 13. und 14. Jahrhunderts nicht ungewöhnlich war. Teilweise bestand die hölzerne Konstruktion sogar aus zwei Geschossen, da der Kreuzgang auch als Verbindungsgang zwischen den Räumen der Klausur diente. Dies waren: Im Ostflügel (Konventsbau) von Süd nach Nord Sakristei, Kapitelsaal, Durchgang zum Garten, Auditorium/Parlatorium, ein weiterer Raum wohl für die Novizen im Erdgeschoss sowie der gemeinsame Schlafraum für die Mönche im Obergeschoss. Im Nordflügel (Refektur) von Ost nach West Kalefaktorium, Refektorium und Küche. Im Westflügel (Konversenbau) von Nord nach Süd Durchgang zum Wirtschaftshof und Laienrefektorium im Erdgeschoss sowie Schlafraum für die Laienbrüder im Obergeschoss. Zwischen dem südlichen Kreuzgang und der Klosterkirche befand sich der Kollationsgang, der den Laienbrüdern den Zugang zum Portal in die Kirche (Konversenportal) ermöglichte und das Treppenhaus. Am nördlichen Ende des Ostflügels dürfte sich der Abort befunden haben. Die räumliche Trennung der Chormönche und der Laienbrüder (Konversen) war bis 1437 vorgeschrieben. Im frühen 15. Jahrhundert wurden auch die gemeinsamen Schlafräume der Zisterzienser mehr und mehr durch individuelle Zellen abgelöst.

Ansonsten wurde der Kreuzgang natürlich für Prozessionen und Bittgänge gebraucht, für zeremonielle Handlungen (zum Beispiel für die regelmäßigen Fußwaschungen) und auch für die Unterbringung geistlicher Schriften (in den Wandnischen des Süd- und Westflügels). Die Nischen in der Südwand des Refektoriums waren wohl für das Essbesteck der Mönche gedacht, die in der Ostwand für geistliche Schriften, aus denen während der Mahlzeiten vorgelesen wurde.

Dass der Kreuzgang in der ersten Bauphase aus Holz bestand ist eine Vermutung. D. Schumann nimmt an, dass anfangs „die nördliche Kreuzgangwand mit niedrigeren Schildbögen geplant [war]. Das weisen die etwa anderthalb Meter unter den heutigen Konsolen liegenden Kämpfer der ersten Schildbögen nach.“ (D. Schumann 2013, 348). Nach Schumann wurden diese Schildbögen aber nie ausgeführt sondern während des Bauablaufs bis Mitte des 14. Jahrhunderts durch höher gelegene Gewölbeansätze ersetzt. Denkbar ist aber auch, dass die festgestellten älteren Kämpfer um 1300 als Auflagen für eine Holzkonstruktion genutzt wurden.

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Klosterkirche und Klausur um 1300, Grundrissrekonstruktion Salesch, originale Bauplastik orange markiert, Brunnen(haus) blau

Aus der ersten Bauphase haben sich im Refektorium Reste erhalten: Die Restauratoren haben 2006/07 in der Nordwand ein gotisches Fenster freigelegt, das beim Anbau der neuen Klosterküche vor 1655 (wohl Bauphase III) zugemauert worden war. So wie dieses Fenster dürften ursprünglich alle Fenster in der Nordwand des Refektoriums ausgesehen haben. Es ist spitzbogig und weist eine polychrome Malerei auf. Die figürlichen Konsolen des Refektoriums sind ebenfalls in die erste Bauphase zu datieren. Sie sind Überreste einer älteren Einwölbung.

 

Bauphase II (um 1380 bis um 1420)

Für diese Bauphase sind in der Stiftskirche und im Ostflügel der Klausur Einwölbungen belegbar. Im späten 14. Jahrhundert muss der Kreuzgang in Stein ausgeführt und mit einem Kreuzrippengewölbe versehen worden sein. Die Konsolen des östlichen Kreuzgangflügels weisen Formen des späten 14. Jahrhunderts auf. Kleidung und Haartracht der Rankenkopfkonsolen entsprechen dieser Datierung. Die ältesten ornamentalen Wand- und Gewölbedekorationen dürften ebenfalls in diese Bauphase gehören.

Die Konsolen im Ostflügel zeigen Männer in geknöpften Schecken. Dieses modische Obergewand wurde ab Mitte des 14. Jahrhunderts bis um 1420/30 vor allem von jüngeren Männern getragen. Es war kurz und eng geschnitten und hatte sich aus dem Wams, einem schützenden Textil, das unter einem Plattenpanzer getragen wurde, entwickelt. Da die Schecke eng anliegend getragen wurde, musste sie vorn und seitlich geknöpft oder geschnürt werden. Auch die engen Ärmel wurden geknöpft, was auf den Konsolen gut zu erkennen ist. Zwischen 1365 und 1380 wurden Brust und Schultern der Schecke gern wattiert, das heißt mit Baumwolle ausgepolstert. Auch dies ist an den Neuzeller Konsolen zu sehen. Schecken waren kragenlos oder mit einem kleinen Stehkragen versehen.

Die in den Konsolen dargestellten Männer tragen halblanges, gewelltes Haar mit Mittelscheitel. Sie sind bartlos. Die Kopfbedeckungen reichen von einfachen Kappe bis zu größeren Hüten. Haartracht und Kopfbedeckungen können nur grob ins 13./14. Jahrhundert eingeordnet werden.

Während die Wände der ersten Bauphase backsteinsichtig (bzw. nur mit einer leichten rötlichen Schlemme versehen) waren und lediglich an Gewänden oder Rippen eine polychrome farbliche Akzentuierung aufwiesen, hatten die Wandfläche der zweiten Bauphase einen Verputz aus feinem Quarzsand und Kalk mit recht hohem Holzkohleanteil (daher der beige-ocker Farbton). Dieser Verputz konnte im Kapitelsaal und im östlichen Kreuzgang festgestellt werden (L. Böwe 2007, 157).

Im Kreuzgang haben sich darüber hinaus Reste eines umlaufenden Friesornamentes erhalten. Es besteht aus einem illusionistisch angelegten geometrischen Rhombenmotiv, das die Konsolen begleitet und aus einem horizontalen Sockelband mit Akanthusrankenwerk und Kugeln. Da auch die Konsolen des östlichen Kreuzganges farblich gefasst waren, ergab sich insgesamt eine farbenfrohe Ausgestaltung. es ist allerdings nicht zu sagen, ob der gesamte Kreuzgang in dieser Form gestaltet war. Das Friesornament und die Farbfassung der Konsolen konnte nur im Südteil des östlichen Kreuzganges festgestellt werden. Die Konsolen im Nordteil sind auch farbig gefasst, aber sehr viel einfacher gehalten.

Nur der östliche Kreuzgang hat dem Hussitenüberfall Stand gehalten, wenngleich auch hier die Beschädigungen an den Kopfkonsolen auf die radikalisierten Hussiten zurückgeführt werden. Im nördlichen und im südlichen Kreuzgang gibt es Konsolenteile, die denen im östlichen Kreuzgang entsprechen. Deshalb muss davon ausgegangen werden, dass die oben beschriebene Gestaltung mit farblich gefassten, länglichen Konsolen und dekorativen Friesbändern nicht nur im östlichen Kreuzgang bestanden hat.

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Klosterkirche und Klausur um 1400, Grundrissrekonstruktion Salesch, originale Bauplastik orange markiert

 

Bauphase IIIa (nach 1437 bis um 1450)

Die Zerstörungen im Kloster Neuzelle 1429 durch radikalisierte Hussiten wurden nach 1437 unter Abt Nikolaus von Bohmsdorf (um 1431-1469) behoben. Nord-, West- und Südflügel des Kreuzgangs mussten wohl komplett erneuert werden. Möglicherweise war das Gewölbe eingebrochen. Der Ostflügel des Kreuzgangs blieb weitestgehend unversehrt. Hier waren aber die Rankenkopfkonsolen beschädigt.

Der Ostflügel der Klausur wurde nach Norden verlängert. Die Gestaltung des Westflügels bleibt auch für das 15. Jahrhundert unklar.

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Klosterkirche und Klausur vor 1500, Grundrissrekonstruktion Salesch, originale Bauplastik orange markiert

 

Auch für die dritte Bauphase geben die Gewölbekonsolen datierenden Aufschluss. Am direktesten sicherlich die Konsole mit dem Wappen des Abtes Nikolaus II. von Bomsdorf, dessen Amtszeit zwischen 1430 und 1469 angegeben wird. Im südlichen Kreuzgang sind die Wappenschilde Böhmens und Kursachsens zu sehen. Sachsen war 1423 zur Kurwürde aufgestiegen. Das böhmische Wappen (der Löwe mit dem doppeltem Schweif) taucht hier auf, weil die Klosterherrschaft Neuzelle als der Teil der Niederlausitz seit 1370 zur Krone Böhmens gehörte. Das sächsische Wappen wird zumeist auf den Stifter des Klosters, den Wettiner Heinrich von Meißen, zurück geführt. Das Wappentier der Markgrafen von Meißen war jedoch ebenfalls ein Löwe. Vielmehr dürfte das kursächische Wappen auf den ersten Kurfürsten Friedrich I., den Streitbaren, verweisen, der den einzigen militärischen Sieg über die Hussiten errang.

Personen in der Kleidung ihrer Zeit tauchen im Gegensatz zum östlichen Kreuzgang in den wiederhergestellten Teilen kaum auf. Eine interessante Ausnahme bildet eine Konsole im nördlichen Kreuzgang: Sie zeigt einen Mann mit abgeneigtem Kopf und einem Holzstück im rechten Augen (einer Halterung für eine Öllampe, die auch bei anderen Konsolen, allerdings an anderer Position, vorgesehen war). Das Holzstück verweist vermutlich auf das Bibelzitat: Du siehst den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken im eigenen Auge nicht (Matthäus 7,3). Auffällig ist die Kleidung des Mannes: Er trägt seitlich geknöpfte Halbstiefel, in denen seine Beinlinge stecken, und ein vorn geknöpftes, bauschig abgestepptes Obergewand, das ihm bis auf die Oberschenkel reicht. Das Obergewand, Wams, hat einen runden Halsausschnitt und lange, anliegende Ärmel. Dies ist die typische Bekleidung eines Handwerkers zur Mitte des 15. Jahrhunderts.

Es ist allerdings auch zu beobachten, dass einige ältere Konsolenteile wiederverwendet wurden. Hierzu zählen drei Konsolenteile mit Weinranken, entsprechend denen im östlichen Kreuzgang, sowie Konsolen mit (noch nicht entzifferten) Schriftzeichen, die Ähnlichkeiten zur Inschrift im Turm der Stiftskirche aufweisen.

 

Aus der dritten Bauphase stammen auch die großfigurigen Wandmalereien im Südflügel und an der Südwand des Kapitelsaales. Beherrschende Motive (auch bei den Konsolen aus dieser Bauphase) sind die Passion Christi und der Mönch, zum Teil sind beide Motive auch miteinander vermischt, was kunsthistorisch bemerkenswert ist. Hintergrund der Motivwahl ist sicherlich der Hussitenüberfall von 1429, der etwa 20 Mönchen das Leben gekostet hat. Diese gefolterten und ermordeten Mönche wurden als Märtyrer verehrt, ihr Schmerz und Leid dem Schmerz und Leid Christi zur Seite gestellt. Dies ist eindrucksvoll dargestellt in der Konsole am Eck zwischen nördlichem und westlichen Kreuzgang: Der leidende Christus wird von zwei Mönchen begleitet.

 

Bauphase IIIb (um 1500 bis um 1515)

Die Netzgewölbe im Refektorium, Kalefaktorium und Parlatorium sowie die farbig gefasste Einwölbung im Brunnenhaus bezeugen einschneidende Umbauten im nördlichen und nordöstlichen Klausurbereich. Deutlich sind Einflüsse aus dem böhmischen Kulturkreis zu erkennen.

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Kirche und Klausur um 1500, Grundrissrekonstruktion Salesch

 

 

Bauphase IV (1655 bis 1658)

Parallel zum erster barocker Ausbau der Stiftskirche gibt es keine nachweisbaren Veränderungen im Klausurbereich.

 

Bauphase V (1709 bis 1711)

In der zweiten barocken Bauphase wurde der Ostflügel der Klausur erweitert. Hierfür wurde die Apsis des Kapitelsaales und der Wendelstein an der Stiftskirche abgerissen und dem Ostflügels in voller Länge ein neuer Gebäudetrakt vorgebaut. Damit einher ging natürlich auch ein Ausbau des Obergeschosses mit den Zellen der Chormönche.

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Kirche und Klausur um 1720, Grundrissrekonstruktion Salesch

Zwischen dem Erweiterungsbau und der Stiftskirche entstand die Neue Sakristei, die allerdings erst 1740 zusammen mit dem Presbyterium der Stiftskirche fertig gestellt werden konnte. Um 1710 wurde nur der Raum an der Nordseite des Kirchenschiffes errichtet. Einer mit Datum versehenen Fußplatte zufolge, wurde die Erweiterung der Neuen Sakristei ab 1737 durchgeführt.

In Bauphase V erfolgten einige Neubauten am westlichen Stiftsplatz (heutiges Kanzleigebäude). Ein neuer Gästetrakt (Fürstenflügel) wurde direkt an den Westflügel der Klausur angefügt und veränderte damit die Eingangssituation, die nun aus der Mittelachse des Westflügels ein Joch weiter nach Süden verlegt wurde (Goldene Pforte). Ob zu dieser Zeit auch die Fenster im Kreuzgang und die Türen zum Refektorium und Kalefaktorium in barocker Art ausgebaut wurden, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Auf einer Klosteransicht aus dem Jahr 1738 sind die barocken Fenster eingezeichnet.

Das Supraport über der Tür zum Kalefaktorium gibt ein Zitat aus dem 2. Brief an Thimotheus wieder: „omnis scriptura divinitus inspirata et utilis ad docendum ad arguendum ad corrigendum ad erudiendum in iustitia“ (Denn alle Schrift, von Gott eingegeben, ist nütze zur Lehre, zur Strafe, zur Besserung, zur Züchtigung in der Gerechtigkeit) Timotheus 3,16.

der Eingang zum Paraltorium ist mit einem Text aus der Vulgata geschmückt: „edent pauperes et saturabuntur et laudabunt Dominum qui requirunt eum vivent corda eorum in saeculum saeculi“ (Die Armen sollen essen und zufrieden sein, und sollst den Herrn loben, die ihn suchen: ihre Herzen werden für immer und ewig leben) Vulgata, Psalterium Gallicanum 21,27.

 

Bauphase VI (1727 bis 1741)

Die große barocke Bauphase unter den Äbten Martinus Graff und Gabriel Dubau betraf den Klausurbereich nicht. Eine Ausnahme bildet nur der Sommersaal im Obergeschoss des Nordflügels, der 1892 einem Brand zum Opfer fiel.

Bauphase VII (1805/06)

 

Die letzten Baumaßnahmen des Klosters Neuzelle betrafen den Neubau der Turmhaube, die Neugestaltung der Orgelempore und den Einbau der Beichtstühle in der Stiftskirche. Zudem wurden einige Wirtschaftsgebäude erneuert.

Bauphase VIII (nach 1892)

Nach der Aufhebung des Klosters wurde der Klausurbereich für die staatliche Ausbildung von Schullehrern genutzt und entsprechend baulich angepasst. Am 2. September 1892 zerstörte ein Großbrand weite Teile der Klausur. Nur der gotische Kern blieb erhalten. Zwischen 1894 und 18967 wurden die Gebäude wieder aufgebaut und durch ein drittes Geschoss erweitert, was die Außenansicht stark veränderte. Im Inneren wurde eine neue Raumaufteilung vorgenommen, die der damaligen Nutzung besser entsprach. Dabei wurden auch zahlreiche Reste der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Substanz entfernt.