Die Vorhalle der Stiftskirche wurde 1730 fertig gestellt, nur drei Jahre nachdem Martinus Graff Abt von Neuzelle geworden war. Er hat sich mit Wappen und Porträt in der Vorhalle verewigen lassen:
Wappen des Abtes Martinus Graff über dem nördlichen Eingang zum Kirchenraum mit der Bezeichnung:
„M. A. N. C. 1730“ (Martinus Abbas Nova Celle 1730)
Wappen und Porträt des Abtes auf dem Widmungsbild.
Die Vorhalle besteht aus drei Jochen. Sie ist dem gotischen Westturm vorgelagert und umschließt diesen. Im nördlichen und südlichen Joch der Vorhalle befinden sich die Eingänge zum Kirchenraum. Das Portal der Vorhalle befindet sich aber im mittleren Joch gegenüber dem alten Turm. Der Eintritt in die Stiftskirche wird also in der Vorhalle gleich wieder gestoppt. Der Blick fällt auf das große Widmungsbild, einem Fresko, das auf die ehemalige Außenwand des gotischen Kirchturmes aufgetragen wurde. Es zeigt Christus auf der Weltkugel stehend. Zwei Putten halten über ihm ein Spruchband mit dem Text: „Kommet alle zu mir, die ihr mit Mühe und Arbeit beladen seid, so will ich euch erquicken. Matth. II. Cap. V. 28.“.
Das Fresko wurde bislang Georg Wilhelm Neunhertz zugeschrieben, da sich auf dem Spruchband oberhalb des rechten Engels ein Schnörkel befindet, der als ein Herz mit einer 9 interpretiert werden kann. Neuere stilistische Betrachtungen (Wieczorek 2010) schließen Neunhertz allerdings aus. Zuletzt wurde Matthäus Lindner als Künstler des Widmungsbildes ins Gespräch gebracht (Töpler 2013, 176).
Gesichert ist die Datierung des Freskos: Es wird 1733 als Bild erwähnt, dass zur 500 Jahrfeier des Klosters angefertigt wurde.
Ein Vergleich der Christusdarstellungen auf dem Widmungsbild (oben links), auf dem Fresko an der Südseite der Vorhalle (oben rechts) und von Georg Wilhelm Neunhertz (unten) auf einem der unteren Wandfresken der Stiftskirche (unten) lassen sogar drei unterschiedliche Künstler vermuten.
Die Welt um 1730
Der europäische Kontinent ist durch den Stier und eine Sonne symbolisiert, für Asien steht ein Kamel und der Mond, für Afrika ein Elefant und für Amerika ein Tier, das ein Krokodil sein könnte. Australien spielte erst nach der Fahrt von James Cook 1770 für die Europäer eine Rolle.
Die vier Kontinente sind zudem durch vier Frauengestalten repräsentiert, die durch Hautfarbe und Kopfschmuck unterschieden sind. Besonders reich geschmückt ist die Personifikation Europas, die am linken unteren Bildrand hockt und andächtig zu Jesus empor schaut.
Fast alle Personen auf dem Widmungsbild schauen Jesus an. Nur zwei kleine Mohre auf der rechten Bildseite blicken in eine andere Richtung. Neben ihnen, leicht abgerückt von allen anderen Personen, steht ein Mann, der wohl als Mohamedaner zu interpretieren ist.
Die barfüßige Europa
Die Frau auf der linken Seite des Widmungsbildes wird allgemein als Agnes von Böhmen, die Gemahlin des Klosterstifters Heinrich von Meißen, angesprochen. Sie trägt allerdings ein kostbares Gewand mit Hermelinbesatz in der Mode des frühen 18. Jahrhunderts.
Zu ihren Füßen liegen nicht nur die Insignien des Reiches (Reichskrone) sondern auch die Insignien des Papstes (Tiara, Papstkreuz). Ihre religiöse Gesinnung wird zudem durch eine besondere Symbolik ausgedrückt: Unter ihrem orangefarbenen Kleid lugt ihr entblößter Fuß hervor. „Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken. Denn ein Arbeiter ist seiner Speise wert.“ (Matth. 10,10). Barfüßigkeit ist ein Ausdruck persönlicher Frömmigkeit und Demut (Klaus Schreiner: Rituale, Zeichen, Bilder, Köln-Weimar-Wien 2011). Neben ihr steht ein kleiner Page, der das Schild Europas hält.
Wahrscheinlicher als die Wiedergabe einer realen Person ist eine personifizierte Darstellung Europas. Diese Interpretation würde zur Gesamtkomposition des Bildes passen, die pyramidal aufgebaut ist. Auf der anderen Seite der Weltkugel kniet eine zweite Frau, die dann als Personifikation Afrikas angesprochen werden kann. Dahinter stehen die Personifikationen Amerikas und Asiens zu sehen.
Der Schutzherr des Klosters Neuzelle
Zwischen der fürstlichen Dame und Abt Martinus steht ein adliger Herr, dessen Identität nicht zu entschlüsseln ist. Einige sehen Markgraf Heinrich von Meißen in ihm, denn auf dem Kirchenmodell, dass ihm von einem kleinen Mann (vielleicht der Baumeister?) gereicht wird steht „Henn. illust. Fund. N.Cell“ (Heinrich der Erlauchte Gründer von Neuzelle).
Doch trägt der adlige Herr den österreichischen Erzherzogshut (im Unterschied zum Kurfürstenhut mit Kugelkreuz) und den Orden des Goldenen Flies. Beides passt nicht auf Heinrich von Meißen. Zudem liegt seine Hand auf dem Kirchenmodell. Ein Stifter würde das Kirchenmodell selbst in Händen tragen, also die Hand unter dem Modell haben. Es handelt sich vielmehr um eine Schutzgeste, nicht um eine Stiftungsgeste. Vielleicht ist in ihm auch ganz allgemein ein Herrschender dargestellt und keine reale Person. Denkbar wäre – wie auf dem Kuppelfresko in der Kreuzkirche – die Darstellung des österreichischen Landespatrons Leopold III. Er war Stifter des noch zu Lebzeiten Bernhard von Clairveaux‘ 1133 von Morimond aus gegründeten Zisterzinserklosters Heiligenkreuz.
Auf dem Widmungsbild gibt es keine Darstellung des damaligen Landesherrn. Das ist eigentlich ein Affront. Hängt aber sicherlich mit den schlechten Verhältnissen zu den sächsischen Landesherrn zusammen. Der Hinweis auf den Stifter des Klosters Heinrich den Erlauchten kann als diplomatische Geste an das Haus Wettin (den Vorläufer des Hauses Sachsen) gelesen werden.
Die Dreifaltigkeit in der Vorhalle
Auf dem Widmungsbild schwebt eine Taube als Zeichen des Heiligen Geistes über Jesus und den Köpfen der Menschheit. Die Dreifaltigkeit wird im runden Deckenfresko in der Mitte der Vorhalle komplettiert. Aus den Wolken blickt ein segnender Gott auf die Menschen hinab. In hochbarocker Manier ist er von putzigen Putten umgeben.
Die Wandfresken der Vorhalle
Neben dem großen Widmungsbild in der Mitte der Vorhalle gibt es weitere Fresken, die auf den Kirchenraum als sakralen Raum einstimmen sollen. Im südlichen Joch werden gezeigt: Jesus vertreibt die Händler und Geldwechsel aus dem Tempel (Westseite) und der zwölfjährige Jesus im Tempel (Südseite). Die falsche und die richtige Nutzung der Kirche sollen damit gezeigt werden.
Im nördlichen Joch sind Gebet und Vergebung thematisiert: Auf dem Fresko an der Nordseite kniern neben Pharisäern und Zöllner auch Petrus, König David, Maria Magdalena und andere vor einem großen Altar. Das Fresko an der Westseite zeigt, wie der Vater den verlorenen Sohn in seine Arme schließt. Ein Schriftzug auf dem Altar, der an der Nordwand dargestellt ist, könnte die Jahreszahl 1727 anzeigen und damit eine Datierung für die Wandfresken geben. Die stilistischen Unterschiede zwischen dem Widmungsbild und den übrigen Fresken verweisen ohnehin auf zwei unterschiedliche Maler.
Die Fresken zeichnen sich durch schöne Porträts und eine eindrucksvolle Illusionsarchitektur aus, die den Vorraum perspektivisch erweitert.
Maria Magdalena auf dem Fresko an der Nordseite
Der verlorene Sohn auf dem Fresko an der Westseite
Die Raumausstattung der Vorhalle
Die Wände der Vorhalle sind komplett mit Stuckmarmor verkleidet, die Architekturelemente darstellen: Säulen etc. Das Gewölbe ist mit reichem Bandelwerk verziert, ähnlich der zeitgleichen Ausstattung der Kreuzkirche.
Die Deckenfresken der Vorhalle
Im südlichen und im nördlichen Joch sind jeweils vier kleinere Deckenfresken angeordnet, die unsere Beziehung zu Gott und Jesus festigen. Im nördlichen Joch sind dies:
Denn Jesus lindert eure Schmerzen (Symbol: Rose und Christusmonogramm)
Hinauf zu Gott mit euren Herzen (Symbol: Drei Herzen reißen sich von einer Kogel los und fliegen zu Gott)
Zu Gott mit Andacht betet (Symbol: Buch und fünf Flammen)
Zu Jesus herzlich tretet (Symbol: Ein Engel weist einem Pilger den Weg)
Im südlichen Joch:
Folgt der Krone der Seligkeit (Symbol: Krone, aus der Blumen auf die Erde fallen)
Auf das Werk der Gerechtigkeit (Symbol: Justitia mit Schwert und Herz auf der Waagschale)
Auf meinen Tröster vertraue ich (Symbol: Schiff auf hoher See von der Taube begleitet)
Auf meinen Schöpfer verlass ich mich (Symbol: Gebet in sonnenerhellter Landschaft mit Hinweis auf das Alte Testament: Jahwe)
Portal
Das Portal wird von drei Fresken flankiert, die zusammen in lateinischer Sprache Psalm 112,3 zitieren: „A solis ortu usq[ue] ad occasum laudabile nome domini.“ (Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang sei gelobt der Name des Herrn).
„A solis ortu“ an der Südseite des Portals zeigt eine Landschaft mit Sonne und Mond, „usq ad occasum“ an der Nordseite eine Landschaft bei Nacht und „laudabile nome domini“ über dem Portal das blumengeschmückte Christusmonogramm.